Trockenwerden Begleiten - Der Start

5. April 2020

Was ist passiert, nachdem die Studie von Dr. Brazelton alles auf den Kopf gestellt hatte? Zunächst haben sich immer mehr Eltern getraut, ihren Kindern mehr zu vertrauen und sind von dieser rigorosen, elternzentrierten Art des extrem frühen Trainings abgerückt, was sehr positiv und im Sinne der Kinder war.

 

Nun ist diese Studie aber bereits über 60 Jahre alt und alles, was heute darüber noch gesagt wird ist: "zu frühes Training schadet dem Kind" und man solle "darauf warten", dass das Kind "bereit" sei. Dr. Brazelton selbst hatte übrigens in den 90ern seine eigenen Ergebnisse genauso in Resten interpretiert und war im Werbespot von Pampers zur Einführung einer neuen Größe 6 zu sehen, bei denen er auch eine Zeit lang im Aufsichtsrat war. Er sprach sogar davon, es ganz allein den Kindern zu überlassen.

 

Das Problem ist, dass diese "Reste" Eltern eher verunsichern als ihnen eine Hilfe zu sein. Wann ist zu früh? Was heißt eigentlich Training bzw. wie sieht das aus? Und woran sehe ich denn nun, dass mein Kind "bereit" ist? Und es endet dann darin, dass Eltern warten bis das Kind tatsächlich von sich aus, von heute auf morgen keine Windel mehr anziehen will und von jetzt auf gleich trocken ist (am besten natürlich ohne auch nur einen Unfall) und ohne dass die Eltern ihnen dabei etwas gezeigt hätten.

 

Ja, solche Kinder wird es geben, sie werden eher 3 Jahre und älter sein und diese Eltern werden es bestimmt auch laut genug erzählen und ja, wir freuen uns dann alle mit, wenn es so stressfrei funktioniert hat. ABER: die Mehrheit hat diese Kinder eher nicht zu Hause. Manche verweigern mit 1,5 oder 2 die Windeln. Weil man aber hauptsächlich von älteren Kindern hört und zu frühes Training schadet, wird häufig eher nach Tricks gesucht, die Windel ans Kind zu bringen - von Ablenkung bis Windel verkehrt herum anziehen ist alles dabei. Manche lassen sich dann doch darauf ein und lassen die Windel weg, stellen dann aber fest, dass das Kind es einfach laufen lässt und nach 2 bis 3 Unfällen geben sie auf, weil das Kind noch nicht so weit ist. * Und wieder andere haben Kinder daheim, die mit 4 oder 5 noch Windeln tragen und sich weit entfernt von einer "freiwilligen" Abgabe zu sein scheinen und alles im Bezug auf Toilette verweigern. Allen Eltern geht es dabei gleich - sie sind verunsichert und dagegen möchte ich etwas unternehmen.

 

Bye, bye, "Schreckgespenst Töpfchentraining"

 

 Zunächst möchte ich euch allen die Angst nehmen vor dem Schreckgespenst "Töpfchentraining". Das "schädliche" Training war elternzentriert (die Eltern bestimmten, wann die Toilette besucht wird) und ging auch oft mit Strafe einher (Sitzen bis was kommt, wenn nichts kam Strafe,...). Ich gehe stark davon aus, dass das keiner macht, der diesen Text hier liest und sich mit dem Thema ernsthaft auseinander setzt. Was definitiv nicht darunter fällt, ist Vorbild Sein und dem Kind etwas zeigen/lehren. Ich "darf" das als Elternteil und in ganz vielen anderen Bereichen mache ich das auch, ohne lange darüber nachzudenken, ob das nun eine Art von "Training" ist. Denkt z.B. an das Essen: wir hier essen auf einem Stuhl an einem Tisch, mit Teller und Besteck. Keiner erwartet, dass ein Baby/Kleinkind ohne es vorher zu üben perfekt und am besten noch ohne Kleckern mit Besteck isst. Wir warten auch nicht bis das Kind sprechen kann, um zu sagen: "Ich habe Hunger." bevor wir ihm überhaupt etwas zu essen anbieten. Sondern wir lernen im Alltag mit unseren Kindern: wir bieten ihnen etwas an, wenn wir denken, dass sie hungrig sein könnten, weil wir das in der Vergangenheit beobachtet haben. Wir nutzen immer wiederkehrende Zeitpunkte oder beobachtete Signale oder wir haben eine feste Familienessenszeit. Wir zwingen sie dann nicht zu essen, sondern nehmen es wieder mit, wenn sie doch keinen Hunger haben. Und wenn sie es versuchen, helfen wir ihnen soweit wir können (und dürfen) mit all unserem "Zivilisationskram" klarzukommen. Denn seien wir doch mal ehrlich: mit den Fingern auf einer Picknickdecke ohne Teller und Besteck ist es viel leichter. Jetzt kommt der entscheidende Punkt: GENAUSO ist es auch mit dem Toilettengang: Kleidung, Toiletten und Windeln sind unsere größten Hürden - nackig hinterm Busch wäre schon einfacher, oder ;-)

 

"Bereit sein" - Wie sieht das aus?

 

Kinder sind von Anfang an "bereit", wie die Erfahrungen mit windelfrei zeigen. Aber je länger Kinder eine Windel getragen haben, desto mehr gehört sie auch zu ihnen. Für manche ist der Schritt "ich bin jetzt groß" toll, anderen macht er vielleicht Angst. Vielleicht stecken auch noch ganz andere Erwartungen unsererseits dahinter, da dürfen wir als Eltern ruhig ehrlich zu uns selbst sein. Was erwarte ich tatsächlich von einem "großen" Kind? Was kommt da noch dazu? Selbst anziehen, vieles allein machen, usw. Betone ich das immer wieder, indem ich sage: "du bist doch jetzt schon groß" oder machen es andere aus dem näheren Umfeld? Dann kann es durchaus sein, dass ich dem Kind damit gewaltigen Druck auflaste und es deshalb nicht "bereit" sein möchte, weil es dann auch all die anderen Dinge tun muss, die von einem "großen" Kind erwartet werden.

Eindeutiger sind da schon Wickelkämpfe oder die "Alleine"/"Selber"-Phase oder wenn es gelegentlich "Pipi" oder "Kaka" sagt oder schon eine Zeit lang fast jedes Geschäft angesagt hatte und das plötzlich nicht mehr tut oder wenn es einfach nur volle Windeln gewechselt haben möchte. Genau dann, darf man sich ruhig mal trauen. Beobachtbar sind Zeitfenster um jeden Geburtstag herum sowie allgemein die Zeitspanne 18 bis 30 Monate (diese wurde auch schon in der vielzitierten Studie als "ideal" angesehen).

 

Meine Tipps zum Start

 

1) Gesamtsituation betrachten

Umzug, neue Arbeit bei den Eltern, Geschwister (baldige Neuankunft oder etwa im Alter des Mobilwerdens), Eingewöhnung usw. werfen auch eigentlich trockene Kinder oft aus der Bahn, weil diese Art von Veränderung ein großer Stressauslöser ist. Wie bei allem, was neu gelernt wird, braucht das Kind genügend freie "Kapazitäten", um sich zumindest eine Weile ganz diesem Thema widmen zu können. Der Toilettengang besteht aus so viel mehr als nur "Ich muss, also gehe ich". Und auch ein Elternteil sollte zumindest am Anfang volle Aufmerksamkeit bieten können, um entsprechend zu begleiten.

 

2) Was bedeutet begleiten?

Trockenwerden ist ein Lernprozess, für alle, aber insbesondere für das Kind und das sollte auch die Chance bekommen tatsächlich lernen zu dürfen. Es geht nicht darum, den ganzen Tag alles ins Töpfchen zu bringen oder ohne nasse Hosen zu sein. Am Anfang darf auch etwas "daneben" gehen. Die Kinder lernen durch Versuch und Irrtum. Sie müssen herausfinden, wie es sich anfühlt, wenn sie müssen. Wie lange können sie es dann tatsächlich noch halten? Wie viel Zeit muss ich "einberechnen" damit ich es noch bis zur Toilette schaffe usw. Und genau wie sie dürfen auch wir in den ersten Tagen mit ihnen mitlernen. Aber wir sind immer an ihrer Seite bei jedem kleinen und großen Geschäft. Wenn es zu laufen beginnt, kann man kurz und unaufgeregt(!)  "Warte, wir gehen zum Klo" sagen und viele warten dann tatsächlich. Wir helfen ihnen zum Töpfchen oder Klo zu kommen und dort wieder zu entspannen. Hatten sie Hosen an, werden sie gewechselt, Pfützen werden aufgewischt und alles ist gut. Die Botschaft dahinter sollte immer sein: "Ich helfe dir" und "ich zeige dir unseren richtigen Ort".  Und keine Angst, "unterbrechen" können sowieso nur Kinder, die schon eine gewisse Kontrolle haben, alle anderen lassen reflexartig laufen. Dieses "warte" kommt ja dann schließlich auch von den Kindern als Meldung an sich selbst, wenn sie vielleicht zu lange gewartet haben und schon ein Tropfen in die Hose gegangen ist.

 

3) Schicken oder Selber entscheiden lassen?

Nichts ist nerviger als wenn einem ständig jemand hinterher läuft und sagt: "Musst du mal? Ich sehe, dass du muss! Jetzt geh doch mal..." Die Frage "Musst du mal?" beantworten sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mit "Nein". Denn am Anfang wissen sie es tatsächlich (noch) nicht und wenn sie es dann wissen, wollen sie es selbst entscheiden. Aber warum fragen wir das so oft? Wir wollen ihnen doch nur helfen und vielleicht denken wir auch ein bisschen, dass es nur "erfolgreich" ist, wenn die Hose trocken bleibt. Abgesehen von ein paar wenigen Standardsituationen (siehe Punkt 4), an denen das Angebot auch ein bisschen Entlastung bringen kann, sollten wir die Kinder nicht ständig fragen oder schicken. Damit nehmen wir ihnen die Chance, es selbst zu lernen und arbeiten gegen eine gute Ausbildung der Beckenbodenmuskulatur. Stattdessen beobachten wir: Wie lange halten sie zwischen zwei Pipi aus? Was tun sie, wenn sie mal müssen? 

 

Aufgrund dieser Beobachtungen geben wir ihnen Rückmeldung: "Du tippelst/du fasst dir in den Schritt/du kannst gar nicht mehr still sitzen und zuhören, das machst du immer, wenn du mal musst. Aber du weißt ja wo das Klo ist." Die Vorteile bei dieser Art der Rückmeldung sind, dass das Kind lernt sich selbst zu beobachten und dass die Entscheidung bei ihm bleibt. Viele warten dann noch 2 Minuten und gehen dann. Jeglicher Versuch sie dazu zu bringen, doch zu gehen weil WIR es doch sehen, endet mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in einer nassen Hose, denn Druck erzeugt Gegendruck.

 

Sollte das Kind entschieden haben, doch länger zu warten und es nicht zum Klo geschafft haben, hilft ihnen ein "oh, jetzt hast du doch zu lange gewartet, beim nächsten Mal gehst du einfach etwas eher" zu sehen, dass es nicht so wild ist und es eine neue Chance gibt.

 

4) Nackig oder Windel?

Das kommt darauf an. Verweigert das Kind die Windel? Macht es dem Kind Spaß nackig herumzulaufen oder ohne Windeln zu sein? Dann weg damit und überraschen lassen! Dann sollte man aber zunächst mindestens die Unterhosen weglassen und auf enge Hosen verzichten, da diese zu sehr das Windelgefühl geben und die Kinder eher laufen lassen. Ähnlich sieht es bei den meisten bei sogenannten Trainerunterhosen aus. Nackig hat auch den Vorteil, dass zumindest am Anfang schneller reagiert werden kann, weil sie nicht noch mit der Kleidung kämpfen müssen. Das Töpfchen (gerade bei kleineren) sollte gut und schnell erreichbar sein.

 

Man kann aber auch einfach mit Windel starten und beginnen, Elemente des "Windelfrei"-Konzepts einfließen zu lassen. Morgens nach dem Aufwachen muss jeder, auch wir Erwachsenen, und da wird nun das Töpfchen angeboten. Das ist eine sogenannte Standard-Situation. Über den Tag verteilt, können dann immer mehr Situationen genutzt werden und vielleicht ist das dann auch der erste Schritt in Richtung "ich kann's, ich will keine Windel mehr".

 

Es ist aber gerade am Anfang und v.a. mit kleineren Kindern, die noch nicht so gut sprechen können, schwierig zu erkennen und zu entscheiden, ob mit oder ohne Windel der "bessere" Weg ist. Es gibt auch überhaupt nicht den "besseren" Weg, es gibt nur den, der zu euch passt und das könnt nur ihr entscheiden! Lässt man die Windel weg, darf man aber ruhig beim Anziehen die Hose als "Normalfall" sehen. Wer bei jedem Anziehen fragt, ob das Kind nicht doch eine Windel anziehen möchte und die eigene Unsicherheit mitschwingt, ob es denn jetzt das richtige ist, wird sehr bald die Antwort "Ja" bekommen. Denn die Unsicherheit überträgt sich und das Kind denkt irgendwann, dass "Ja" von den Eltern erwartet wird. Genauso kann es sein, dass das Kind, welches noch keine ganzen Sätze spricht, beim Anziehen "Windel" sagt. Aber hier könnte es auch eine andere Variante zu "Windel anziehen" geben. Es könnte auch heißen "sonst haben wir immer eine Windel angezogen, jetzt nicht mehr" und das ganz wertfrei, eine reine Feststellung.

 

Aber ist gibt auch Kinder, die auf die Windel "bestehen". Sie brauchen oft dieses Gefühl der Sicherheit und denen sollte man die Windel definitiv auch nicht wegnehmen, da es v.a. beim großen Geschäft negative Folgen haben könnte.

 

5) Vorbereitete Umgebung

Beim Weglassen der Windel geht es um Selbstständigkeit und deshalb sollte die Kinder an nicht allzu vielen Punkten um Hilfe fragen müssen:

* Einfach zu bedienende Kleidung: keine Bodies, lockere Hosen mit Gummibund, zunächst keine Unterhosen

* Toilette/Töpfchen: Erreichbarkeit prüfen, auch von Türklinken, Lichtschaltern, Spülung und Waschbecken; bei Aufsätzen und Treppen darauf achten, ob die Kinder sie allein aufstellen können

* Klare Hilfen geben: wenn es die Hose noch nicht runter ziehen kann, wie genau soll das Kind "Bescheid" sagen? Was soll es sagen oder wie soll das Zeichen aussehen?

 

Und zum Schluss noch etwas, das viele zunächst nicht glauben: Der Verlauf des Beginns ist bei vielen Familien doch ähnlich: sie sind mutig und lassen die Windel weg - die ersten Tage laufen ganz gut - dann gibt es einen Durchhänger und der wird schlimmer - dann kommt der Tag, an dem man denkt, schlimmer kann's echt nicht werden, ich geb auf - und der nächste Tag ist der quasi perfekte Tag, ab dem es für alle entspannt ohne Windel weiter geht.

 

 

In diesem Sinne, bleibt entspannt, bleibt präsent und überlasst den Kindern das Tempo, die machen das schon :-)

 

 *Bitte entschuldigt hier diese Verallgemeinerungen! Es trifft mit Sicherheit nicht bei jedem zu; es ist eine überspitzte Darstellung der Unsicherheiten im Bezug auf dieses Thema." 


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